Die Herausforderungen durch die derzeitige globale Machtverschiebung sind in Kombination mit dem rasanten technischen Fortschritt für die aufstrebenden Volkswirtschaften nicht weniger beängstigend als für jene, deren Macht im Schwinden begriffen ist. Alle politischen Systeme geraten in gewisser Weise aus dem Gleichgewicht, wenn sie versuchen, sich den fortwährenden Erschütterungen anzupassen, die durch den Übergang von der Globalisierung 1.0 zur Globalisierung 2.0 verursacht werden.
In den Jahrzehnten seit dem Ende des Kalten Krieges hat die Globalisierung unter Führung der USA – die Globalisierung 1.0 – die Welt durch den freien Fluss der Handelsströme, des Kapitals, der Informationen und Technologie so gründlich verändert, dass daraus eine weitere neue Phase entstanden ist – die Globalisierung 2.0.
»In den vergangenen Jahrhunderten entwickelten sich Europa und dann Amerika, die beide einst Peripherie waren, zum Zentrum der Weltwirtschaft«, schreibt der Wirtschaftsjournalist Martin Wolf von der Financial Times. »Jetzt bilden die Volkswirtschaften, die in dieser Zeit an der Peripherie lagen, erneut das Machtzentrum. Dadurch verändert sich die ganze Welt … Das ist bei Weitem das Wichtigste an unserer Welt.«3
Der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Michael Spence vertritt eine ähnliche Sichtweise. Wir würden derzeit »zwei parallele und interagierende Revolutionen « erleben, schreibt er, »die Fortsetzung der Industriellen Revolution in den Industrieländern und die plötzliche und dramatische Verbreitung des Wachstums in den Entwicklungsländern. Man könnte die zweite Revolution die Einschließlichkeitsrevolution [im Original: »Inclusivness Revolution«] nennen. Nach zwei Jahrhunderten des raschen Auseinanderdriftens folgt nun die Annäherung.«4
Diese massive wirtschaftliche und technologische Annäherung infolge der Globalisierung 1.0 hat gleichzeitig eine neue kulturelle Verschiedenheit hervorgebracht, da sich die aufstrebenden Wirtschaftsmächte nun unter Berufung auf ihre eigene Kultur gegen die ohnehin schwindende westliche Hegemonie abgrenzen. Weil mit wirtschaftlicher Stärke eine kulturelle und politische Selbstbehauptung einhergeht, bedeutet die Globalisierung 2.0 vor allem die Verflechtung multipler Identitäten anstelle eines für alle gültigen Modells. Die einst dominierenden westlichen liberalen Demokratien müssen es auf der Weltbühne nun nicht nur mit der vom Neokonfuzianismus geprägten Volksrepublik China aufnehmen, sondern auch mit einer am Islam orientierten Demokratie im säkularen Rahmen der Türkei, die für die Demonstranten in der arabischen Welt ein attraktives Vorbild darstellt. Kurz gesagt, die Welt kehrt zum »normalen Pluralismus« zurück, der den Großteil der Menschheitsgeschichte prägte.
Historisch betrachtet zieht eine derart umfangreiche Machtverlagerung häufig Zusammenstöße und Konflikte nach sich. Doch aufgrund der intensiven Integration, die die erste Globalisierung seit Ende des Kalten Krieges mit sich brachte, bieten sich auch ganz neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit und gegenseitigen Befruchtung über verschiedene Kulturen hinweg.
Wir stehen an einem historischen Scheideweg. Die Art und Weise, wie wir uns selbst in den kommenden Jahrzehnten als Nationen und darüber hinaus regieren und organisieren, wird über den weiteren Verlauf des 21. Jahrhunderts entscheiden.